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Interview mit Dr. Markus Wildberger und Prof. Dr. Markus Biesalski

MFP News
22. November 2023

Seit 2018 engagieren sich Herr Dr. Markus Wildberger, Gesellschafterausschussvorsitzender und Herr. Prof. Dr. Markus Biesalski, wissenschaftlicher Beiratsvorsitzender der Modellfabrik Papier mit Leidenschaft für das für die Papierindustrie renommierte Projekt. Warum sie das tun, was die beiden am Produkt Papier fasziniert und wie sie die Zukunft von Papier sehen, erfahren Sie in diesem Interview mit Ina Kruse.

Kruse: Wie sind Sie auf das Thema Papier gekommen und was fasziniert Sie an dem Thema? Wo kommt Ihre Leidenschaft für Papier her?

Wildberger: Ich bin über das Studium zu dem Thema gekommen. Ich bin Österreicher, habe in Graz Verfahrenstechnik studiert. In Österreich ist die TU Graz das einzige Institut, an dem man im zweiten Studienabschnitt Papier und Zellstofftechnik studieren konnte. Was mich fasziniert hat, ist die Vielfalt an Papieren, die eingesetzten Rohstoffe und die Herstellung des Papiers. Überspitzt ausgedrückt ist Papierherstellung gleichzeitig Wissenschaft und Philosophie an sich: zwei baugleiche Papiermaschinen werden nie exakt die gleichen Papiere produzieren aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren. Das heißt, man braucht sehr viel interdisziplinäre Erfahrungen und systematisches Denken, um ein funktionelles Papier auf Basis nachhaltiger organischer und anorganischer Rohstoffe im Sinne seiner Anwendung herzustellen.

Kruse: Das heißt, die Herstellung von Papier ist für Sie zur Philosophie geworden?

Wildberger: Ja, weil eben viele Fachdisziplinen und Wissenschaften einhergehen, um ein Blatt Papier herzustellen. Bei der Papierherstellung kommen als Beispiele die Chemie, die Physik, die Thermodynamik, die Strömungslehre, die Materialwissenschaft und die Verfahrenstechnik zu einem faszinierenden Produkt zusammen.

Kruse: Herr Prof. Biesalski, wie ist es bei Ihnen gewesen?

Biesalski: Ich habe Chemie studiert und mich in meinem Studium und der anschließenden Promotionszeit auf Polymere spezialisiert. Mein spezielles Themengebiet war damals „Polymere an Oberflächen“, also dünne Filme und Beschichtungen. Und denen bin ich auch ein Stück weit treu geblieben, denn insbesondere jetzt interessieren mich Oberflächeneigenschaften von Papier besonders. Im Jahr 2008 habe ich eine Professur in Darmstadt angenommen. Diese Professur geht zurück auf das erste deutsche Cellulosechemie Institut. Cellulose ist der Grundbaustein von Papierfasern und das spannende, was ich dann entdeckt habe, ist, wie ich meine eigenen Interessen zu Polymerbeschichtungen, mit dem Werkstoff Papier so verbinden kann, dass sich verbesserte oder ganz neue spannende Papiereigenschaften ergeben.

Das Besondere am Papier sind für mich seine vielfältigen Eigenschaften. Papier hat außerordentliche mechanische Eigenschaften – es ist z.B. extrem zugfest im trockenen Zustand. Auch seine Eigenschaften in der Gegenwart von Fluiden, wie z.B. Wasser sind sehr spannend. Papier kann durch seine Kapillarkraft Wasser ohne Pumpen transportieren. Papier besteht weiterhin aus unheimlich vielen Grenzflächen und man hat damit viele Möglichkeiten auch neue Funktionen einzubringen. Wenn man diese drei Eigenschaftsprofile, die mechanischen und fluidischen Eigenschaften sowie die Grenzflächeneigenschaften kombiniert, kann man großartige Visionen für neue Papiere schaffen und man kann sich Papier in Anwendungsfeldern vorstellen, wo sie heute noch gar nicht anwesend sind.

Damit wir dort hinkommen, brauchen wir die Wissenschaft, die sich um diese Papierfunktionalisierung kümmert, das ist das eine. Aber wir dürfen, wenn wir an Zirkularität denken, natürlich auch die Nachhaltigkeit und das Thema Energie nicht außer Acht lassen. Und jetzt kommen wir zum Thema Modellfabrik Papier und jetzt Schnitt, dritter Punkt: wie bin ich zur Modellfabrik gekommen? Bei dieser Faszination für die Materialeigenschaften, darf man nicht vergessen, dass wir heute sehr viel Energie aufwenden, um Papier zu machen. Und im Prinzip kann man sich auch da wieder, auf der Basis dessen, wie Papier aufgebaut ist, vorstellen und Visionen entwickeln, wie man Papiere vielleicht mit erheblich weniger Energieaufwand erzeugen kann. Und das ist im Prinzip das Kernthema der Modellfabrik und das ist auch das, was uns alle hier in diesem Verbund antreibt.

Kruse: Aus Ihren lebhaften Antworten entnehme ich eine hohe Motivation und sowohl bei Ihrem Unternehmen Koehler, Herr Wildberger, als auch an Ihrem Institut, Herr Biesalski wird das Thema Forschung großgeschrieben. Nun zur Modellfabrik Papier, was ist für Sie der wichtigste Punkt an der MFP?

Wildberger: Die MFP fokussiert sich auf das Ziel, den Carbon Footprint und den Energieverbrauch drastisch zu senken. Die Modellfabrik Papier ermöglicht es uns gemeinschaftlich innovativ und disruptiv an diesem Thema zu arbeiten, die Industrie benötigt dies dringend. Es wird langfristig gedacht und agiert und dem Transfer besonderer Fokus geschenkt. Die Anforderung an die Kultur, wie man aktuell und zukünftig Forschung und Innovation in der Industrie betreibt, hat sich verändert. Es wird in Kooperationen gedacht, um Kräfte und Knowhow zu bündeln. Das Konstrukt der Modellfabrik Papier ist ein Beweis dafür. Das hätte es vor gut zehn Jahren noch nicht gegeben.

Kruse: Was ist für Sie der Wendepunkt gewesen?

Wildberger: Die Industrie hat zum einen gemerkt, dass große Veränderungen nicht mehr allein gestemmt werden können. Eine Herausforderung, die uns alle betrifft, als Leuchtturm zu definieren und daraus ein kollaboratives Projekt zu entwickeln, war für mich persönlich der Wendepunkt. Um umfangreiche und nachhaltige Veränderungen zu erreichen, benötigt es einen langfristigen Ansatz und benötigt es Ressourcen, Infrastruktur und die richtigen Personen. Das war eine Hauptmotivation für die Industrie und die wissenschaftlichen Partner, sich der wichtigen Themen anzunehmen, um eine langfristige Planung zu ermöglichen. Markus, wie ist Deine Einschätzung?

Biesalski: Das spiegelt auch meine Meinung wider. Als ich im Jahr 2008 das erste Mal in Kontakt mit Kolleg*innen in der Papierindustrie gekommen bin, habe ich gesehen, dass in dieser Industrie eine sehr starke Gemeinschaft existiert. Ich habe sofort einen Willen erkannt, gemeinsam große Themen bewegen zu wollen. Es gab bereits viele kurzfristige und mittelfristige Projekte im Rahmen von Finanzierungsmöglichkeiten des Verbandes, zum Beispiel INFOR-Projekte oder Projekte gefördert aus der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF). Aber die ganz großen Ziele, wie wir sie jetzt gemeinsam angehen, hat man damit nicht verfolgen können. Dafür braucht man ein viel größeres Konsortium. Im Jahr 2018 ist diese Idee in Gesprächen zwischen Industrie- und wissenschaftlichen Partnern entstanden. Ungefähr zehn Unternehmen haben sich den Hut aufgesetzt, daraus eine Struktur und ein Ziel definiert und mit weiteren Unternehmen dann die gemeinnützige GmbH gegründet. Mit der Modellfabrik Papier wurde mit Anlagenherstellern, Papierherstellern, Papierzuliefern und Papierausrüstern eine breite Expertise realisiert. Die Standortfrage entschied sich für Düren, als Papierstadt mit vielen passenden Facetten. Nachdem wir erste Projekte aus Eigenmitteln finanziert haben, war ein weiterer wichtiger Schritt, dass nun das große Forschungsverbundprojekt FOMOP als erster vom Bund geförderter Forschungsbaustein der Modellfabrik Papier bewilligt wurde. Dies ist eine tolle Wertschätzung, womit bestätigt wird, dass die Idee der MFP neu, wissenschaftlich herausfordernd und innovativ ist. Damit im Erfolgsfall auch in 20 Jahren noch Papier in unseren Regionen gefertigt werden kann und man global weiter zu den TOP 5 der papiererzeugenden Ländern gehört.

Wildberger: Spannend ist, dass wir bereits 2018/2019 dieses Ziel definiert haben, dass uns die 80%ige Energieeinsparung, lange vor der aktuell brisanten Thematik der Energiekrise so sehr beschäftigt hat. Das Konsortium hat damit gezeigt, dass die richtige strategische Ausrichtung entwickelt wurde, um die Industrie langfristig zu unterstützen.

Kruse: Typischerweise reagieren Unternehmen auf Krisen so, dass sie sich wieder auf das Kerngeschäft und auf das Tagesgeschäft fokussieren und die mittel- bis langfristige Strategiesicht darunter leidet. Meinen Sie, dass die veränderte Denke, die im Rahmen der MFP entstanden ist, aufrecht erhalten bleibt oder eher darunter leiden wird?

Wildberger: Die Firmen konzentrieren sich definitiv auf ihr Kerngeschäft, aber sie haben das große Glück, dass es nun die Modellfabrik Papier gibt und dass die MFP vorab gegründet wurde, welche sich jetzt der Themen annimmt. Heute wäre sicherlich ein deutlich schlechterer Zeitpunkt, um ein solches Konsortium zu gründen. Deshalb ist es jetzt auch so wichtig, dass die Modellfabrik Papier erfolgreich zeigt, dass so eine Kollaborationsforschung durchaus der richtige Weg ist, um diese wichtigen Themen zu bearbeiten, weil sie krisenunabhängig ist.

Biesalski: Ja, das ist vollkommen richtig. Das Bündeln der sehr unterschiedlichen Expertisen mit einem langfristig ausgelegten Ziel, gestaltet das Projekt über Konjunkturperioden hinaus. Das große Potenzial der Modellfabrik Papier ist meines Erachtens kurzfristig, mittelfristig und langfristig in Projekten denken zu können und einen Mehrwert für die Industrie zur Verfügung zu stellen. Das birgt aber gleichzeitig auch ein Risiko. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir hier besondere Lösungen generieren können, die dann anschließend von der Industrie übernommen und umgesetzt werden.

Kruse: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das die große Motivation: gemeinsam mit Forschung, Politik und Industrie die großen Herausforderungen des Energieverbrauchs für diese Industrie anzupacken.

Wildberger: Absolut. Die Papierindustrie und deren Zulieferer sind ein unabdingbarer Teil der Bioökonomie, der Zirkularität. Sie hat einen wesentlichen Beitrag zu den Klimazielen. Dieser Enthusiasmus und diese Motivation müssen nun von allen Beteiligten in die Praxis umgesetzt werden. Daraus sollen dann Transferprojekte generiert werden, die mit Investitionen aus der Industrie hochskaliert werden – „Innovation durch Investition“.

Biesalski: Man muss hier auch erkennen, dass es mit Abstand das größte Gemeinschaftsprojekt ist, das die Papierindustrie bisher in Deutschland auf die Beine gestellt hat. Wenn man die heute 24 Unternehmen und die sieben wissenschaftlichen Institute betrachtet, kommt hier ein ganz großes Momentum zusammen. Einige der Institute hatten bis zur Modellfabrik Papier kaum Kontakt mit der Papierindustrie und erkennen heute, dass Papier ein spannendes Themenfeld und Produkt ist. Und auch viele Unternehmen partizipieren und forschen zum ersten Mal in einem solchen großen Projekt in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft.

Wildberger: Einzelne Unternehmen haben selbst gar nicht die Ressourcen, um disruptive Forschung oder Grundlagenforschung zu betreiben. Mit der Modellfabrik Papier unterstützen wir uns hierbei auch untereinander.

Kruse: Zum Schluss eine schnelle Fragenrunde: Im Jahr 2023 ist für die Modellfabrik Papier viel passiert. Wie haben Sie das in Ihrer Funktion erlebt?

Biesalski: Das Jahr 2023 hat für die MFP wichtige Weichen gestellt. Für mich hat dieses Jahr einen besonderen Punkt in der Modellfabrik bedeutet, in dem wir jetzt einerseits die Fördergelder akquirieren konnten. Es ist eine Wertschätzung für die erfolgreiche gemeinsame und zielorientierte Arbeit aller Partner. Außerdem haben wir die Weichen für eine physische Existenz einer Modellfabrik in Düren auf dem Weg gebracht. Und der dritte Punkt, der für mich ganz wichtig ist, auch aus Sicht des wissenschaftlichen Beirats, dass wir es geschafft haben, vielleicht auch durch die Hürden, die es bei der Akquirierung der Fördergelder gab, eine eingeschworene Gemeinschaft zu werden, mit weitreichender Wertschätzung füreinander. Es war definitiv ein dynamisches, spannendes und erfolgreiches Jahr.

Wildberger: Es war aus meiner Betrachtung eines der herausforderndsten Jahre seit der Gründung der MFP. Aufgrund des Prozesses der Akquisition der Fördermittel, wurden nochmal grundsätzliche Fragen im Bezug zur Ausrichtung des Projektes ausgelöst. Dadurch war auch die Beteiligung des Gesellschafterausschusses im Jahr 2023 höher als erwartet.

Kruse: Worauf freuen Sie sich besonders in Bezug auf die MFP für das Jahr 2024?

Wildberger: (lacht) Wir denken nur von Woche zu Woche, im Moment ist die Industriewelt so schnelllebig…

Biesalski: Ich freue mich auf kreative Forschung! Und auf kreative junge Köpfe, die wir jetzt einbinden. Das wir eine schlagfähige operative Mannschaft aufstellen, die später aus 25 jungen Wissenschaftler*innen bestehen wird. Ich bin sehr gespannt, welche kreative Ideen dort entstehen werden und welche vielversprechenden Resultate wir erreichen werden.

Wildberger: Ich freue mich auf die ersten Ergebnisse und potenzielle Transferprojekte für die Industrie. Ich freue mich aber auch auf weniger Administration, weniger Bürokratie und dass wir uns nun im Jahr 2024 auf das eigentliche Kernthema fokussieren können, was wir mit der Modellfabrik Papier vorhaben: disruptive Forschung und Transfer.

Kruse: Was ist Ihr Lieblingspapierprodukt?

Biesalski: Da bin ich traditionell: Briefpapier! Das ist etwas, das ich selten nutze, aber wenn ich es nutze, dann mache ich das sehr gerne. Gerade in der Vorweihnachtszeit, bietet das die Möglichkeit der Entschleunigung. Und 4D-Papiere, da sehe ich viele spannende zukünftige Anwendungsfelder.

Wildberger: Funktionelle Papiere: die Kombination vom klassischen Papier mit seiner Haptik und einer zusätzlichen Funktion macht es zu einem hochwertigen Produkt mit vielfältigen Anwendungen. Papier als Fasermatrix bietet unzählige Möglichkeiten für kreative, innovative Lösungen wie kein anderes industriell hergestelltes Produkt.

Kruse: Vielen lieben Dank für Ihre Zeit!

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